Chile diverso – parte 2

***English version***
 

Nach einer langen Busfahrt erreichten wir endlich die 6.5-Millionen Stadt Santiago de Chile. Im Vergleich zum überschaubaren und idyllischen Pucón war es laut, hektisch und innerhalb von wenigen Minuten wird man immer wieder darauf hingewiesen, gut auf seine Wertsachen zu achten. 
 

Die Stadt hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Besonders die Aufstände 2019 spielten dabei eine zentrale Rolle. Am 25. Oktober 2019 gingen mehr als 1,2 Millionen Menschen in Santiago auf die Strasse, um gegen soziale Ungleichheit zu protestieren. Bis zum 28. Dezember 2019 starben 29 Menschen, fast 2’500 wurden verletzt und 2’840 verhaftet. Über 30 Jahre nach dem Ende der Diktatur unter Pinochet ist Chile trotz der seither guten wirtschaftlichen Entwicklung von grosser Armut und Ungleichheit geprägt. Die Hälfte der chilenischen Bevölkerung verdient weniger als 400’000 Pesos im Monat (umgerechnet etwa 425 CHF). Zeitgleich sind die Lebenshaltungskosten sehr hoch. Während der Proteste wurden unzählige Metrostationen komplett zerstört, waren für mehrere Monate geschlossen und mussten von Grund auf neu aufgebaut werden. Seither wurden vor allen Geschäften massive Stahltüren zum Schutz installiert und die Innenstadt wirkte auf uns wie eine Festung. 

Zudem hatte Chile in den vergangenen Jahren eine immense illegale Zuwanderung aus Venezuela, Peru, Haití, Kolumbien und Bolivien. Heute leben mehr als 1,5 Millionen Ausländer in Chile, das eine Bevölkerung von etwa 19 Millionen hat. Die illegalen Einwanderer versuchen sich als Strassenverkäufer über Wasser zu halten. 
 

Vor allen regulären Läden findet man daher in Santiago unzählige Strassenstände. Etwas das es gemäss den Chilenen vor einigen Jahren noch kaum gegeben hat. Die Kinder dieser meist illegaler Einwander*innen dürfen nicht zur Schule und bekommen keine medizinische Versorgung. Dass die Kriminalitätsrate in den letzten Jahren stark angestiegen ist, überrascht daher nicht. 

Das klingt nun alles sehr negativ und um ehrlich zu sein, wissen wir nicht, wie gut uns Santiago gefallen hätte, wenn wir nicht das Glück gehabt hätten, die Stadt mit Lexi zu erkunden. Obwohl wir uns zuvor nur flüchtig kannten, nahm sie uns mit an eine Kunstausstellung junger chilenischer Künstler*innen, zum Abendessen mit ihren Freundinnen, an ein Bierfestival mit lateinamerikanischer Musik, von dem wir sonst niemals erfahren hätten, sowie auf den «Hausberg» San Cristobal mit Blick über die gesamte Stadt.
Was uns an Santiago sehr gefallen hat, ist, dass die Stadt insgesamt sehr offen und tolerant wirkte. Man begegnete unzähligen schrill gekleideten Menschen, homosexuellen Paaren und perfekt gestylten Dragqueens. Als wir in Lastarria in einem Restaurant zu Abend gegessen haben, konnten wir sogar eine Drag-Queen-Show inklusive beeindruckender Akrobatikeinlagen live miterleben. Die einheimischen Leute flippten total aus, standen auf, jubelten und klatschten. Die Stimmung war grandios. 

Am selben Abend lernten wir zudem Michelada und Pichelada kennen, ein chilenisches Getränk mit Bier, Limettensaft sowie Salz und wahlweise Chili am Glasrand. Klingt merkwürdig, war aber sehr erfrischend. Generell ist die Getränkeauswahl in Chile sehr divers mit gutem Wein, leckeren Limonaden, guten Cocktails und Bier. Beim Essen ist dies leider ein wenig anders. Häufig schmeckte das Essen für unseren Geschmack sehr fad, besteht aus einem Stück Fleisch mit Reis oder Kartoffelstock ohne Sauce. Eines ihrer «Signature Menüs» ist zudem das «Completo Italiano» – ein Hotdog mit Avocado, Tomaten und Mayonnaise. Was das mit Italien zu tun hat, ausser den Landesfarben, weiss keiner. Auch das Gericht Chorrillana kann praktisch überall bestellt werden. Das sind Pommes mit verschiedenen Fleischstücken, Zwiebeln und einem Spiegelei. 
Zudem lieben die Leute in Chile Süsses. Ein Dessert («Postre») gehört zu jedem Mittagsmenü dazu. Häufig handelt es sich dabei um einen Pudding mit viel Gelatine und Zucker. Anstatt Abendessen gönnen sie sich zudem oft ein überdimensional grosses Stück Kuchen oder Torte. Man sieht zudem Leute in allen Alterskategorien mit einem Lolli im Mund herumspazieren. Weil Chilenen Süsses über alles lieben, sie jedoch leider auch die dritthöchste Diabetesrate weltweit aufweisen, findet man in jedem noch so kleinen Take Away auch Süssstoff anstelle von Zucker und im Supermarkt ein ganzes Regal unterschiedlicher Süssstoffsorten. 
Preislich war das Essen besonders im Vergleich zu Argentinien sehr teuer. Ihr könnt euch also vorstellen, dass wir häufig selbst zum Kochlöffel gegriffen haben. Wenn wir auswärts essen gingen, war es wichtig, dass man sich die Rezensionen von jedem Restaurant kurz durchgelesen hat. Wie erwähnt, schmeckte das chilenische Essen für uns zwar eher fad und langweilig, für Chilenen war es hingegen ein Gaumenschmaus. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Ein guter Verlass waren für uns stets die französischen Touristen, die generell sehr strenge und kritische Kommentare verfassen. Der Zufall wollte es, dass wir in Santiago in einem Viertel wohnten mit unzähligen asiatischen und internationalen Restaurants. In den vier Tagen haben wir uns daher die Bäuche mit japanischem, thailändischem, indischem, aber auch hawaiianischem Essen vollgeschlagen.

Nach Santiago ging es weiter an den Pazifik zur pulsierenden Studentenstadt Valparaiso oder Valpo, wie sie die Einheimischen nennen. Mit relativ hohen Erwartungen aufgrund von Erzählungen anderer Mitreisenden fiel unser erster Eindruck jedoch sehr ernüchternd aus – sehr chaotisch, üble Gerüche und sehr dreckig. Gerne wollten wir diesen ersten Eindruck revidieren und sind die Stadt zuerst auf eigene Faust und anschliessend mit einer geführten Tour besichtigen gegangen. Besonders beeindruckend waren gewisse Häuser, die in die steilen Hänge gebaut wurden und die unglaubliche Vielfalt an Strassenmalereien, die überall in der Stadt zu finden sind. Leider blieb trotzdem ein Teil des ersten Eindruckes bestehen. Von den 20 Stadtliften in die umliegenden Hügel funktionierten nur deren fünf und obgleich einige Quartiere UNESCO-Weltkulturerbe sind, war es sehr schmutzig und teilweise komplett am Zerfallen, weil es sich niemand leisten kann, die Gebäude gemäss den Vorgaben der UNESCO zu restaurieren. Die Stadt versprüht einen Charme längst vergangener Blütezeiten. Auch wurden einige Malereien mit Graffitis besprüht, extrem schade um die wertvollen Kunstbeiträge. Trotzdem genossen wir die Zeit in Valpo, die spektakulären Aussichten von den diversen Hügeln und nahmen uns die Zeit, um die nächsten Tage unserer Reise zu planen.

 Unser primäres nächstes Ziel war San Pedro in der Atacamawüste. Um nicht über 20 Stunden am Stück Bus zu fahren, legten wir noch einen Halt in La Serena ein. La Serena ist eine Stadt direkt am Pazifik und Ausgangspunkt für Ausflüge zum Pisco Elqui Tal, Wal- und Pinguinbeobachtungen sowie diversen Observatorien. Wir entschieden uns für eine Tour zur Piscoproduktion sowie eine Sternenbeobachtung. Wir hatten Glück und für unsere Astronomietour einen eigenen englischsprachigen Guide. Er zeigte uns verschiedene Planeten, Sterne und unzählige Sternbilder, die alle auf dem Kopf standen, da wir uns auf der Südhalbkugel befanden. Letzteres ist zwar logisch, wenn man darüber nachdenkt, bewusst war uns dies bis zu diesem Zeitpunkt aber nicht.

Danach ging es auch schon weiter nach San Pedro de Atacama, eine kleine Oase in der trockensten Wüste der Welt. Viele Touristen zieht es dorthin, um das Mondtal, rote Felsformationen, die Tatio Geysire und viele weitere Attraktionen zu besuchen. Der Ort war viel grüner und lebendiger, als wir es von einer Wüste erwartet hätten, da die umliegenden Berge die Wüste mit Wasser versorgen. Wir konnten auf unseren Touren diverse Tiere wie Vicuñas, das sind kleine Verwandte der Alpakas, Suris, kleine Sträusse, Viscachas, Berghasen mit einem Känguruschwanz, Wüstenfüchse, Flamingos und viele weitere Vogelarten beobachten. 

Wir haben in San Pedro de Atacama unzählige Ausflüge unternommen. Besonders beeindruckend fanden wir die «Piedras Rojas» und das «Los Flamengos National Reservat» sowie die spektakulären «Tatio Geysire» bei minus 15 Grad Celsius auf über 4300 m. ü. M. Nebst den sehr bekannten Ausflügen machten wir auch noch eine Wanderung zu einem grünen Canyon, der mit warmem Wasser gespeist wird. Dies war auch eines unserer persönlichen Highlights, da wir dort die Natur fast für uns alleine geniessen durften.

Die Atacamawüste ist aber nicht nur die Heimat unglaublicher Naturspektakel, sondern leider auch des weltweiten Fast-Fashion-Friedhofs. Wir haben den Friedhof zwar selbst nicht gesehen, uns mit dem Thema aber noch näher auseinandergesetzt. Was ursprünglich für die Leute rund um Iquique einen sehr positiven Effekt auf ihren Lebensstandard hatte, hat sich zu einem immensen Problem entwickelt. Für alle, die gerne mehr dazu erfahren möchtet, findet ihr hier einen spannenden Artikel dazu. 
Nach unglaublich vielen Erlebnissen, Eindrücken sowie grossen Höhen- und Temperaturunterschieden hiess es nach fünf Wochen Abschied nehmen von dem unglaublich diversen Land Chile.

 

Redaktionelle Anmerkung von Dominik: Wie die meisten von euch bestimmt wissen, bewahrt Jana alle ihre Kassenbons und Dokumente auf, damit wir jederzeit beweisen können, was wir gekauft haben. Diese Zettel werden ebenfalls beim Erhalt auch noch fotografiert, um für alles bestens abgesichert zu sein. Bei der Einreise nach Chile erhält man ebenfalls einer dieser Bons, der auf den ersten Blick unwichtig erscheint. 
Als wir uns über die Uyuni-Tour informierten und daher mit einigen Leuten in Kontakt standen, wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass wir dieses PDI-Dokument, wie es genannt wird, für die Ausreise wieder benötigen. Nun, Jana hätte euch den fotografierten Kassenbon für die Lollipops zeigen können, das Ticket für unseren Bus etc., aber nicht das PDI, das sie sogleich am ersten Tag bei der Einreise nach Chile verloren hatte. Da es bereits Wochenende war und alle digitalen Amtsstellen in Chile geschlossen waren, brach kurz Panik aus, ob wir die Ausreise aus Chile wie geplant antreten können. Glücklicherweise gab es in San Pedro ein Migrationsamt, welches ebenfalls am Samstag geöffnet hatte und wir konnten mit viel Erleichterung unsere Reise fortsetzen.

Morgens um 3 Uhr ging es Richtung Bolivien. Bereits im Bus war klar, dass der Standard nun nicht mehr derselbe sein wird. 20 Minuten vor unserer Zieldestination Uyuni stoppte unser Bus dann auch plötzlich. Lange verstanden wir nicht, was los war, bis der Busfahrer meinte, er könne leider wegen einer Strassenblockade nicht mehr weiterfahren. Mit unserem ganzen Gepäck mussten wir daher die 2 km lange Strassenblockade zu Fuss überqueren und auf der anderen Seite auf einen neuen Bus warten. Dies sollte der Auftakt einer Odyssee von Busfahrten in Bolivien sein. 
Es erwarten uns aber nicht nur mühselige Busfahrten, sondern auch einige der grössten Wunder unserer Natur, offene und neugierige Menschen, grosse körperliche Herausforderungen sowie einige Kulturschocks. Müssten wir unsere Zeit in Bolivien mit einigen Adjektiven beschreiben, wären diese: wunderschön, eindrücklich, herausfordernd, schockierend und einfach nur verrückt. Seid also gespannt auf unseren nächsten Blogbeitrag.

Damit wir unserem Namen DJ on Tour gerecht werden, findet ihr hier ein Lied, das uns während dieser Zeit begleitet hat. Wenn ihr euch den Song anhört, stellt euch vor, ihr fährt durch die endlosen Weiten der Wüste.

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